Sharm El-Sheikh: Immer noch Todesfalle für Weißstörche im südlichen Sinai?
Die Kläranlage von Sharm El-Sheikh auf der Sinai-Halbinsel wurde einst als gefährlicher Ort für durchziehende Weißstörche identifiziert. Um zu verstehen, ob diese Gefahr weiterhin besteht, wurde eine eingehende Feldforschung vor Ort durchgeführt. Ein Bericht.
Während inhaltlicher Arbeiten an der Weißstorchausstellung im NABU-Besucherzentrum Rühstädt stieß ich auf wissenschaftliche Publikationen, die über ein massenhaftes Sterben von Weißstörchen an der Kläranlage von Sharm El-Sheikh auf der Sinai-Halbinsel in Ägypten berichteten (vgl. bspw. Schulz 1988: 264f. und Schimkat 2011). Von etlichen hundert, wenn nicht gar tausenden toten Weißstörchen pro Jahr wurde dabei ausgegangen (ebd.). Es ist nicht auszuschließen, dass auch einige Störche aus der Elbtalaue dort umgekommen sind.
Ob das Problem jedoch aktuell immer noch vorherrscht, konnte mir niemand aus dem Kreis der Storchenexpert*innen der NABU Bundesarbeitsgruppe Weißstorchschutz beantworten. So beschloss ich kurzerhand, mir die Situation selbst vor Ort anzuschauen, um zu sehen, ob weiterhin dringender Handlungsbedarf besteht oder nicht – und wenn ja, wie den Störchen am besten geholfen werden kann. Die Bereisung erfolgte als Privatperson und auf eigene Kosten.
In den zehn Tagen meines Aufenthaltes im südlichen Sinai Mitte März habe ich die Kläranlage von Sharm El-Sheikh bzw. das direkt im Südosten davon angrenzende Gebiet an unterschiedlichen Tagen und zu unterschiedlichen Tageszeiten insgesamt fünfmal aufgesucht – meist für jeweils mehrere Stunden. Dabei hatten mir die Mitarbeiter der Kläranlage freien Zugang zu der eingezäunten Anlage gegeben (vgl. Abb. 1); ich konnte mich frei und unbegleitet zwischen den zehn großen, wassergefüllten Klärbecken bewegen und umschauen sowie den vor gut sieben Jahren für Ornithologen errichteten Aussichtsturm nutzen (vgl. Abb. 2). An keiner Stelle der Anlage erblickte ich Störche oder Hinweise auf deren Anwesenheit (wie Federn oder ggf. Knochen). Meine Fragen an die Mitarbeiter der Kläranlage hinsichtlich etwaiger Funde toter Störche wurden verneint. Auch Ringe wurden ihren Aussagen nach in den letzten Jahren keine gefunden. Der Ornithologe und Leiter des angrenzenden St. Katherine Schutzgebiets, Ismail Hatab, mit dem ich zusammen dreimal die Anlage besuchte, schätzte die Aussagen der Mitarbeitenden der Kläranlage als glaubwürdig ein, da auch er in den letzten Jahren innerhalb der Kläranlage keine toten Störche gesehen hat. Wenn die Mitarbeitenden das Vorhandensein einer größeren Anzahl von toten Störchen in der Kläranlage hätten verschleiern wollen, hätte ich bei meinen unangekündigten Besuchen zu unterschiedlichen Tageszeiten keinen freien Zutritt zur Anlage erhalten und mich dort nicht frei bewegen können, weswegen auch ich deren Aussagen als valide betrachte.
Rund 100 Meter südöstlich von der Kläranlage existieren mehrere langgestreckte Kleingewässer, die aufgrund ihrer Form und der sie umgebenden Wallaufschüttungen ganz offensichtlich künstlich angelegt wurden (vgl. Abb. 3). Auf aktuellen Satellitenbildern sind die Teiche gut zu erkennen (27°56'19"N, 34°18'19"E). Hier konnte ich an den Tagen meiner Anwesenheit zwischen 700 und 1.800 Weißstörche zählen, die zum Teil auf der ebenen Fläche zwischen den Teichen standen (vgl. Abb. 4), zum Teil auf den die Teiche umgebenden Wällen (vgl. Abb. 5). Die Störche machten insgesamt einen vitalen Eindruck, auch wenn zwei im Flug beobachtete Störche sich in Plastikfolien verheddert hatten (vgl. Abb. 6). Morgens kommen die Störche mit den ersten warmen Aufwinden aus dem weiter im Nordwesten gelegenen Gebirge (vgl. Abb. 7), wo sie auf niedrigen Bergspitzen übernachten (vgl. Abb. 8), zu den Teichen, wo sie sich tagsüber aufhalten und immer wieder auch Wasser zu sich nehmen (vgl. Abb. 5). Am späteren Nachmittag nutzen sie die Thermik, um von den Teichen neben der Kläranlage wieder zu ihren Schlafplätzen hinter dem ersten Gebirgskamm im Nordwesten zu fliegen.
Nachdem die Störche die Teiche in Richtung ihrer Schlafplätze verlassen haben, bin ich an einem späten Nachmittag die Fläche rund um die Teiche abgelaufen, um nach toten Störchen bzw. deren Überresten (Knochen, Federn, Ringe) zu suchen. Lediglich zwei Stellen mit Knochen und Federn konnte ich finden. Aufgrund der Größe der Knochen, des Vorhandenseins eines Schädels und einiger Federn ließen sich die Überreste klar dem Weißstorch zuordnen (vgl. Abb. 9). In den wallartig die Teiche umgebenden Aushüben konnte ich Grabspuren und Höhlen entdecken – aller Voraussicht nach vom Fuchs; in diesen lagen etliche Storchenfedern. Ob sie da reingeweht, reingespült oder von Prädatoren hineingebracht wurden, kann nach bloß einmaliger Inaugenscheinnahme nicht gesagt werden. An diesen Teichen hielten sich auch einige streunende Hunde auf. Es ist also nicht auszuschließen, dass die beiden Totfunde Opfer von den Caniden wurden.
Auch wenn es sich nur um fünf Besuche der Kläranlage und der nebenan gelegenen Teiche gehandelt hat und damit nur eine Blitzlichtaufnahme darstellt, auch wenn ich aufgrund von Sprachbarrieren (die Mitarbeitenden der Kläranlage hatten nur begrenzte Englischkenntnisse, ich keine Arabischkenntnisse) keine Interviews in der Tiefe bzw. Wissenschaftlichkeit führen konnte, wie gewünscht, so denke ich doch, dass die Beobachtungen dafür sprechen, dass die Kläranlage von Sharm El-Sheikh keine (direkte) Todesfalle mehr für die Weißstörche darstellt (vgl. Abb. 10).
Allem Anschein nach hat das Wasser der Teiche neben der Kläranlage keine so hohe Bakterien- bzw. Giftbelastung, wie es die einzelnen Absatzbecken in der Kläranlage gehabt zu haben scheinen, was in den letzten Jahrzehnten zu aberhunderten toten Weißstörchen geführt hat. Woher das Wasser der Teiche konkret kommt (und wann die Teiche im Auftrag von wem ausgehoben wurden), konnte ich bislang nicht in Erfahrung bringen. Voraussichtlich entstammt das Wasser der letzten Klärstufe der Absatzbecken der Kläranlage. Dies würde zumindest erklären, warum kaum noch tote Weißstörche gefunden oder kranke Störche gesichtet wurden, da die Bakterien- bzw. Giftbelastung nach diversen Klärstufen nicht mehr so letal sein dürfte, wie sie es in den ersten Klärstufen der Absatzbecken ist.
Rühstädt, 10.04.2024
Jan Dierks (Mitarbeiter des NABU-Besucherzentrums Rühstädt)
Literatur:
Schimkat, Jan (2011): Immer noch: Massensterben von Weißstörchen Ciconia ciconia bei Sharm El Sheikh (Sinai, Ägypten). Actitis 46: 11–22. [https://nsi-dresden.nabu-sachsen.de/media/aktitis_46_schimkat_weissstorch.pdf]
Schulz, Holger (1988): Weißstorchzug – Ökologie, Gefährdung und Schutz des Weißstorchs in Afrika und Nahost. Verlag Josef Margraf, Weikersheim.
Gebiet
- Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe
Meldung vom 01.04.2024